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Glosse

Die hohe Kunst des Verlierens

Niemand wird je im Pétanque-Sport zu höheren Weihen gelangen, der Niederlagen achselzuckend akzeptiert: Kann ja immer nur einer gewinnen!? Dass aus statistischer Sicht fünfzig Prozent aller Spiele verloren gehen,  mag ja zutreffen, den fortgeschrittenen Pétanque-Spieler ficht das nicht an. Geht es darum, eigene und daher unverdiente Niederlagen zu relativieren, beweist er endgültig jene Meisterschaft, an der es ihm eben auf dem Platz noch mangelte.

Was also sagen, wenn der Boule-Gott mal ungnädig ist? - ptank.de gibt Nachhilfe

Lektion 1 > BODEN

Wischen Sie den albernen Einwand, dass Sieger und Verlierer auf demselben Terrain gespielt haben, einfach beiseite. Ob ekelhafte Rotasche, federnder Naturboden oder grober Schotter: Im Zweifel kann jedes Geläuf die spielerische Unterlegenheit des Gegners in dessen Vorteil verwandeln: Auf so einem Boden kann doch jeder jeden schlagen!

Lektion 2 > WETTER

Auf Hitze beispielsweise reagiert die Hand des Spitzen-Pétanquisten extrem sensibel. Sie ist dann wahlweise zu trocken oder zu verschwitzt, um das Spielgerät noch richtig anzupacken: Hatte heute null Grip an der Kugel. Ohne Effet funktioniert mein Spiel einfach nicht. Wind ist nicht weniger fatal: Die Haare wehten mir vor die Augen, die Bäume gegenüber schwankten wie blöde; diese Böen raubten mir jede Konzentration im Kreis. Weniger zugkräftig ist dagegen der Rekurs auf niedrige Celsiusgrade. Gegen Kälte, besagt der vor allem im deutschen Norden geltende Boule-Konsens, kann sich der Aktive wappnen. Die Thermo-Unterhose baumelte am Morgen noch nass an der Leine? Derart tiefe Einblicke in Ihr Intimleben gelten als deplatziert.

Lektion 3 > LICHT

Natürlich blitzte die tiefstehende Sonne gerade in dem Augenblick hinter den Wolken hervor, als Sie zum sicheren Schuss für Schluss ansetzten. Ebenso schlüssig wie überschüssiges kann auch mangelndes Licht Misserfolg erklären. So duster wie es im Halbfinale schon war, konnten Sie die feinen Bodenmodulationen und die tückischen Donnée-Stellen beim besten Willen nicht mehr erkennen, um Ihr technisch brillantes Spiel durchzuziehen. Da war dieser Gegner, der seine Bälle plump geradeaus in die Gegend zu schleudern pflegt, klar im Vorteil.

Lektion 4 > MATERIAL

Die neuen Kugeln, die laut Beipackzettel mindestens fünf sur-place-Treffer in Serie garantieren, noch nicht eingespielt? Keinen saugfähigen Lappen zur Hand gehabt, um die matschtriefende ATX sauber ins Ziel zu bringen? Derlei Ausflüchte ziehen leider nicht: Ohne perfektes Material in den Wett-Kampf zu ziehen gilt als unverzeihlicher Eigenfehler, den nicht einmal ein Anfänger begeht.

Lektion 5 > BERUF UND FAMILIE

Die Enkelin hatte Mumps, die Tochter brauchte Hilfe beim Umzug, in der Firma brannte mal wieder die Luft: Generell in den letzten Tagen vor dem Wettkampf vermasseln unerwartete Pflichten das gesamte Trainingspensum: Und ehrlich, so richtig frei im Kopf bin ich noch immer nicht.

Lektion 6 > GEGNER

"Die Türkei spielte seltsam, mal perfekt, mal zu vorsichtig, mal schlecht. Wir haben uns verwirren lassen ...", bemerkte ein DPV-Trainer über ein verlorenes Match bei der EM 2015. Das war natürlich eine perfide Masche dieser Türken. Wie kann man denn selbst gut spielen, wenn unklar ist, ob das überhaupt nötig ist? – Wer Niederlagen auf so subtile Weise aus dem Gebaren des Gegners herzuleiten weiß, darf sich zu den wahren Größen des Pétanque-Sports zählen. Verpestete der Gegner mit seinem billigen Rasierwasser die frische Frühlingsluft? Reagiere da total allergisch. Da sollten die Schiris mal was unternehmen! Waren die Kontrahenten eventuell zu jung, zu alt oder zu liebenswürdig, um an ihnen das sportliche Urteil zu vollstrecken? Hab' da wohl unterbewusst Skrupel gehabt.

Lektion 7 > MITSPIELER

Den eigenen Spielpartnern die Schuld zuzuordnen ist längst nicht so heikel, wie Boule-Neulinge glauben. Wie immer macht der Ton die Musik. Haben Sie sich vielleicht von der traurigen Performance Ihres Pointeurs anstecken lassen? Das Formschwäche-Virus ist bekanntlich hochinfektiös. – Steckte Ihrem Tireur vielleicht noch eine durchzechte Nacht in den Knochen? Echt, so eine miese Trefferquote hab' ich bei Frank noch nicht erlebt. – Oder konnten Sie sich in der entscheidenden Aufnahme mit ihrer taktischen Weisheit nicht durchsetzen? Ist doch klar, da hätten wir schießen müssen, aber Bernd wollte unbedingt noch eine legen. Wenn Sie die Ursachenanalyse konsequent auf die Spielpartner fokussieren, sind Ihnen verständnisvolle Zuhörer sicher. Natürlich sind die Versager, denen Sie diesmal noch das Vertrauen schenkten, außerhalb des Platzes ... echt prima Kumpels, und sonst spielen sie auch besser.

Lektion 8 > SCHICKSAL

Geradezu vorprogrammiert ist die Niederlage, wenn Ihnen die Willkür einer Auslosung Raffel-Rudi und Kuller-Konny als Kontrahenten beschert. Solche Gegner haben bekanntlich den Papst in der Tasche. Gleich mehrmals pro Partie befördern Rudis Fehlschüsse die Sau zu Konnys durchgelegten Kugeln. Sagen Sie's mit Friedrich Schiller: Dagegen kämpfen Götter selbst vergebens.

Zusammenfassung

Wer seinem unvermeidlichen Aufstieg zum Spitzenspieler nicht selbst im Wege stehen will, muss sich auch bei der analytischen Verbrämung von Niederlagen höchsten Ansprüchen stellen. Die deutsche Pétanque-Szene hat auf diesem Gebiet bereits ein beeindruckendes Niveau erreicht. Werden Sie also kreativ. Und keine Sorge: Zu weit an den Haaren herbeigezogen ist nichts, was das eigene Scheitern zum dummen Zufall erklärt.

Oktober 2015


Reaktionen

Harald Lukaschek (Brinkum, 11.10.)
Hallo Ulli, das ist eine präzis' analysierte Analyse meiner (höchst seltenen) Niederlagen. Wenn alles normal gelaufen wäre, hätte ich heute "naturellement" das Tour-Masters gewonnen. Aber wie das Schicksal es wollte, hatte ich dummerweise allergrößtes Lospech und dann auch noch dieses Reißen in der rechten Schulter. Mir liegt es auch selbstverständlich fern, meinem Leger Vorwürfe zu machen. Jedenfalls nicht, wenn er in der Nähe ist und meinen Ausführungen lauschen könnte. Zudem lag mir auch noch das üppige Frühstück im Fidelio schwer imMagen. Außerdem bin ich es als Spanienurlauber auch nicht gewohnt, bei Temperaturen unterhalb der 25° Grad-Grenze, mein volles Potenzial abrufen zu können. Kann mir absolut nicht vorstellen, dass meine Gegner tatsächlich besser spielten als ich. Ist wohl nur mal wieder dumm gelaufen.

Marlies Schöbel (Rethen, 12.10)
... habe mich köstlich amüsiert ...